Handynutzung im Strassenverkehr

Verkehrsunfall zwischen Motorfahrzeug/Eisenbahn und Fussgänger/Radfahrer: Haftet der Halter des Fahrzeuges oder des Zuges stets?

Die Verkehrsdichte in der Schweiz ist hoch: Im Jahr 2022 waren in der Schweiz rund 6,4 Millionen Motorfahrzeuge zugelassen, was einem Anstieg gegenüber dem Jahr 2000 um 39% entspricht.

Diese Fahrzeuge stellen leider auch ein erhebliches Unfallrisiko dar. Jedes Jahr ereignen sich in der Schweiz etwa 17’000 Verkehrsunfälle mit Personenschaden. Diese Unfälle können dauerhafte Gesundheitsschäden bei Fussgängern und anderen Verkehrsteilnehmenden verursachen und beträchtliche finanzielle Folgen haben.

Wie steht es mit der Haftung? Ist ein Motorfahrzeughalter im Fall einer Kollision mit einem Radfahrer haftbar, wenn dieser ein Kein-Vortritt-Signal missachtet hat? Haftet die Eisenbahn im Fall einer Kollision zwischen einem Fussgänger und einem Zug für den Schaden, wenn die Person die Gleise ausserhalb des Bahnübergangs überquert hat?

Die Regel: Die Haftung greift…

Die Haftpflicht des Motorfahrzeughalters wird durch das Strassenverkehrsgesetz (SVG), diejenige der Eisenbahnen durch das Eisenbahngesetz (EBG) geregelt.

Beide Gesetze beruhen auf dem gleichen Grundsatz: Gewicht, Masse und Geschwindigkeit eines Motorfahrzeugs bzw. eines Zugs bergen ein Risiko, das sogenannte charakteristische Risiko, das die verschuldensunabhängige Haftung ihres Inhabers begründet (Art. 58 Abs. 1 SVG und Art. 40b EBG).

Bei Verkehrsunfällen mit Beteiligung eines Motorfahrzeugs oder Zugs haftet daher grundsätzlich der Motorfahrzeughalter bzw. das Eisenbahnunternehmen. Der verletzte Fussgänger oder Radfahrer kann somit gegenüber dem Motorfahrzeughalter bzw. dem Unternehmen, das die Eisenbahn betreibt, Schadenersatz geltend machen (die Frage der Subrogation der Sozialversicherungen wird hier absichtlich ausgeklammert).

… aber nicht immer: die Ausnahme

Allerdings gibt es Ausnahmen zu diesem Grundsatz: So wird der Halter von der Haftpflicht befreit, wenn der Unfall durch grobes Verschulden des Geschädigten verursacht wurde, ohne dass ihn selbst ein Verschulden trifft und ohne dass fehlerhafte Beschaffenheit des Fahrzeuges zum Unfall beigetragen hat (Art. 59 Abs. 1 SVG). Der Inhaber eines Eisenbahnunternehmens wird insbesondere in Fällen von höherer Gewalt oder bei grobem Verschulden der geschädigten oder einer dritten Person von der Haftpflicht entlastet (Art. 40c EBG).

Wird die Ausnahme erweitert?

In jüngster Zeit ergingen mehrere Urteile, in denen diese Ausnahme Anwendung findet, indem die Halterhaftung aufgrund des Verhaltens der geschädigten Person ausgeschlossen wurde.

So stufte das Bundesgericht das Verhalten einer Fussgängerin, welche die Strasse ausserhalb des Zebrastreifens, jedoch weniger als fünfzig Meter davon entfernt, überquerte, während von rechts ein Auto herannahte, als «hochgefährlich» ein, was zur vollständigen Haftpflichtbefreiung des Fahrzeuglenkers führte (BGE 4A_140/2020).

In einem weiteren Fall wurden die Verkehrsbetriebe Zürich (VBZ) nach einem schweren Unfall eines Mannes mit einem Tram von jeglicher Haftung befreit. Das Bundesgericht befand, dass der Fussgänger grobfahrlässig gehandelt hatte, als er – den Blick auf sein Mobiltelefon gerichtet – unvermittelt und ohne nach links zu schauen den Gleisbereich betrat.

Auch im Fall einer Kollision zwischen einem Velo und einem Tram befreite das Bundesgericht die Trambetreiberin von jeglicher Haftung. Es stellte fest, dass der Radfahrer grobfahrlässig gehandelt hatte, als er mit einer Geschwindigkeit von etwa 15 km/h von einem Trottoir aus einer Strasse überqueren wollte und dabei von einem sich von links nähernden, vortrittsberechtigten Tram erfasst wurde (BGE 4A_91/2022).

Ist die Häufung solcher Urteile, in denen ein Eisenbahnunternehmen oder ein Motorfahrzeughalter von der Haftpflicht befreit werden, ein Zufall oder ein Zeichen für eine Lockerung der Halterhaftung? Die Zukunft wird es zeigen!